«Betrachten nicht ausschließlich den reinen Cw-Wert»

Holger Winkelmann, Leiter Aerodynamik der BMW Group

«Betrachten nicht ausschließlich den reinen Cw-Wert»
Holger Winkelmann vor dem BMW-Windkanal. © BMW

Bei BMW spielt die Aerodynamik für die Efficient Dynamics eine große Rolle. Im Interview mit der Autogazette erklärt Holger Winkelmann, Leiter Aerodynamik bei BMW, dass auch andere Größen eine ebenso gewichtige Position einnehmen.

In den letzten Monat hat der Stellenwert der Aerodynamik deutlich an Wert genommen und wird häufiger von den Herstellern unterstrichen. «Für die BMW Group ist die Aerodynamik definitiv schon immer ein wesentlicher Entwicklungsfaktor», sagt Holger Winkelmann im Interview mit der Autogazette. Der Leiter Aerodynamik bei der BMW Group schränkt aber zugleich ein. «Es geht nicht um entweder Aerodynamik oder Leichtbau, sondern um ein intelligent gestaltetes Gesamtfahrzeug, das Aerodynamik, intelligenten Leichtbau, innovative Antriebstechnologien, Ästhetik und fahrdynamische Aspekte gleichermaßen berücksichtigt.»

«Absolute Prognose wäre reines Glaskugellesen»

In wieweit sich der Cw-Wert aber noch nach unten bewegen wird, darauf wollte sich Winkelmann nicht festlegen. «Es gab in den 1980er Jahren Fachleute, die davon ausgingen, dass ein Cw-Wert von 0,3 kaum zu unterbieten sein wird . . . Die Historie lehrt uns, dass der Cw-Wert von 0,2 zwar heute noch als 'Schallmauer' im übertragenen Sinne bezeichnet wird, aber wohl auch für Serienfahrzeuge irgendwann fallen kann. Wie weit es dann noch gehen wird, wird sich mit der Veränderung neuer Fahrzeugkonzepte zeigen. Eine absolute Prognose wäre reines Glaskugellesen.»

Allerdings fände es der Leiter der Aerodynamik interessant, wie der Rumpler-Tropfenwagen von 1921, der als erstes Auto einen Cw-Wert von 0,28 aufwies, heute abschneiden würde. «Die Messung aus dem Jahre 1979 basiert aus einem Windkanal ohne entsprechende Bodensimulation. Interessant wäre, wie sich das Fahrzeug in einem modernen Windkanal mit Bodensimulation verhalten würde.»

«Aerodynamik schon immer ein wesentlicher Entwicklungsfaktor»

Der BMW 520d Efficient Dynamics Edition BMW

Autogazette: Hat das Gros der Autobauer die Aerodynamik in den zurückliegenden Jahren vernachlässigt?

Holger Winkelmann: Für die BMW Group ist die Aerodynamik definitiv schon immer ein wesentlicher Entwicklungsfaktor. Um mit Efficient Dynamics maximale Performance bei herausragender Effizienz zu erreichen, ist Aerodynamik einer der wesentlichen Stellhebel. In die 90er Jahre waren Luftwiderstandsbeiwerte um Cw 0,30 beim Typ der Limousinen nur bei wenigen, besonders auf Aerodynamik fokussierten Fahrzeugen vorhanden. Im darauffolgenden Jahrzehnt lag dies Spitzenwerte dann etwa im Niveau von Cw = 0,28. Heute stellen solche Werte allenfalls noch Durchschnitt für Limousinen dar – Fahrzeuge wie der BMW 5er erreichen mit dem aktuellen Modell Cw-Werte um 0,25. Wir sprechen also von einer Verbesserung in der Größenordnung von 15-20 Prozent. Der Fokus auf die Entwicklungsstrategie Efficient Dynamics hat unter anderem auch zur Entscheidung der BMW Group geführt, das modernste automotive Windkanalzentrum zu bauen. Das Aerodynamische Versuchszentrum (AVZ) beinhaltet zwei hochmodere Windkanäle mit absolut realitätsnaher Bodensimulation sowie extrem guten aerodynamischen Randbedingungen. Das Investitionsvolumen für das AVZ lag bei 170 Millionen Euro. Dies zeigt wie intensiv sich die BMW Group auf alle Aspekte von Efficient Dynamics fokussiert.

Autogazette: Warum rückt die Aerodynamik gerade wieder stärker in den Focus der Autobauer, liegt das vor allem an den strengen CO2-Richtlinien zum Flottenverbrauch?

Winkelmann: Eine optimale Aerodynamik ist für Fahrzeuge der BMW Group schon immer maßgeblich, einmal mit Fokus auf Effizienz zum anderen aber auch vor dem Hintergrund weiterer sehr kundenrelevanter Aspekte wie der Fahrdynamik, z.B. Fahrstabilität und Kurvenverhalten, ganz im Sinne von Efficient Dynamics. Aber natürlich ist durch die immer strengeren CO2-Richlinen die Anforderung an alle energetischen Subsysteme wie z.B. die Aerodynamik gestiegen.

«Es geht um ein intelligent gestaltetes Gesamtfahrzeug»

Der Vision EfficientDynamics wird im BMW-Windkanal getestet.
Der BMW i8 im Windkanal BMW

Autogazette: Ist es einfacher und vor allem kostengünstiger, die Effizienz eines Fahrzeuges durch aerodynamische Maßnahmen als durch Leichtbau zu verbessern?

Winkelmann: Die Strategie Efficient Dynamics sieht kein Entweder-Oder vor, sondern die intelligente und für das jeweilige Fahrzeug optimale Gestaltung aller energetischen Subsysteme. Es geht also nicht um entweder Aerodynamik oder Leichtbau, sondern um ein intelligent gestaltetes Gesamtfahrzeug, das Aerodynamik, intelligenten Leichtbau, innovative Antriebstechnologien, Ästhetik und fahrdynamische Aspekte gleichermaßen berücksichtigt.

Autogazette: Wird die Aerodynamik das Design der Autos in Zukunft nachhaltig verändern?

Winkelmann: In der BMW Group steht die gemeinsame Gestaltung des Fahrzeugs mit allen Aspekten von Aerodynamik und Design im Vordergrund, daraus resultiert eine sehr enge, intensive und gestalterisch für beide Seiten mehrwertbringende Zusammenarbeit. Dies erfolgt über alle Phasen im Entwicklungsprozess und betrifft die Gestaltung der Proportion genauso wie perfekte Lösung an jedem kleinen Detail.

Autogazette: Hat die Tropfenform bei zukünftigen Fahrzeugen wieder eine Perspektive?

Winkelmann: Ein Beispiel für aerodynamische Detailarbeit ist die Gestaltung der Frontschürze mit einem Air Curtain. Solche Lösungen entstehen nur durch die intensive Zusammenarbeit zwischen Aerodynamiker und Designer. Insofern ändert die Zusammenarbeit zwischen Aerodynamik und Design natürlich das Fahrzeug nachhaltig, aber nicht in der Form eines Tropfenkörpers.

«Betrachten nicht ausschließlich den reinen Cw-Wert»

Aerodynamik und Design arbeiten nicht nur beim BMW i8 Hand in Hand BMW

Autogazette: Ist das Einliter-Auto VW XL1 mit einem Luftwiderstandsbeiwert von 0,189 wegweisend für zukünftige Fahrzeuggenerationen oder ist es nur eine Fingerübung für Designer und Aerodynamiker?

Winkelmann: Vorweg: Ein Luftwiderstandsbeiwert unter 0,2 ist ein hervorragendes Ergebnis. Wir bitten aber um Verständnis, dass wir Lösungen von Wettbewerbern nicht weiter kommentieren können. Die Anforderungen an die Aerodynamik innerhalb der BMW Group beinhalten immer den Anspruch eines stimmigen Gesamtfahrzeugs. Das bedeutet, dass jedes Modell einer der Marken der BMW Group spezifische Anforderungen bezüglich Aerodynamik, Leichtbau, Fahrdynamik (Balance) und in erheblichem Maße Ästhetik erfüllen muss. Wir betrachten also nicht ausschließlich den reinen Cw-Wert. Hier gilt es, intelligente Lösungen zu finden.

Autogazette: Wo liegt für Sie der größte Zielkonflikt zwischen Design und Aerodynamik?

Winkelmann: Es gibt natürlich Zielkonflikte, der Aerodynamiker muss sich an der Physik und der Strömungsmechanik orientieren, der Designer an den grundsätzlichen Aspekten der Ästhetik und auch an Zeitgeist. Für die meisten Zielkonflikte lässt sich in der intensiven und innovativen Zusammenarbeit eine neue spannende Lösung finden.

Autogazette: Stellen die steigenden Anforderungen an die Fahrzeugsicherheit wie beispielsweise Fußgängerschutz die Aerodynamik vor besondere Probleme?

Winkelmann: Da gibt es durchaus Abhängigkeiten, die in der Lösungsfindung berücksichtigt werden müssen, da Fahrzeugsicherheit für BMW ein wesentliches Thema ist. Zum Beispiel muss bei der Gestaltung der Fahrzeugfront die Lage der Lufteintritte auf die Anforderungen des Fußgängerschutzes abgestimmt werden.

«Man kann nicht von Stillstand sprechen»

Der Rumpler Tropfenwagen im Windkanal.
Der Rumpler-Tropfenwagen setzte Maßstäbe STDB / C. Kirchner

Autogazette: Der Rumpler-Tropfenwagen von 1921 kam auf einen Cw-Wert von 0,28. Vergleicht man das mit den Luftwiderstandsbeiwerten der heutigen Fahrzeuge, dann haben sich seither keine Quantensprünge vollzogen. Herrschte in der Aerodynamik in den zurückliegenden 92 Jahren eher Stillstand statt Fortschritt?

Winkelmann: Es ist schon phantastisch, dass sich in der Zeit der 1920er und 1930er Jahre Aerodynamik-Ingenieure viele Gedanken um die Fahrzeugaerodynamik gemacht haben, Eduard Rumpler ist nur ein Beispiel dafür. Hier wurde auch mittels solcher Experimentalfahrzeuge Grundlagenarbeit geleistet, in einer Zeit, als Serienfahrzeuge vermutlich einen Cw-Wert von 0,5 und mehr hatten. Heute haben unsere Serienfahrzeuge Cw-Werte von 0,25 und kleiner und mit Experimentalfahrzeugen kommt man auf Werte unter 0,19 und bei noch extremerer Ausprägung auch auf niedrigere Werte. Man kann also nicht von Stillstand sprechen. Der angesprochene Wert des Rumpler-Wagens stammt von einer Messung aus dem Jahre 1979 aus einem Windkanal ohne entsprechende Bodensimulation. Interessant wäre, wie sich das Fahrzeug in einem modernen Windkanal mit Bodensimulation verhalten würde.

Autogazette: Der Mercedes CLA ist derzeit mit einem Cw-Wert von 0,22 der Aerodynamik-Champion unter den Serienfahrzeugen. Welche Reduktion ist zukünftig noch vorstellbar?

Winkelmann: Das ist eine nahezu philosophische Frage. Es gab in den 1980er Jahren Fachleute, die davon ausgingen, dass ein Cw-Wert von 0,3 kaum zu unterbieten sein wird. Der neue BMW X5 hat einen Cw-Wert von 0,31 und ist bekanntlich ein großer SAV. Er bewegt sich also eine Klasse, die konzeptbedingt eher höhere aerodynamische Kennwerte aufweist. Die Historie lehrt uns, dass der Cw-Wert von 0,2 zwar heute noch als „Schallmauer“ im übertragenen Sinne bezeichnet wird, aber wohl auch für Serienfahrzeuge irgendwann fallen kann. Wie weit es dann noch gehen wird, wird sich mit der Veränderung neuer Fahrzeugkonzepte zeigen. Eine absolute Prognose wäre reines Glaskugellesen.

Die Fragen an Holger Winkelmann stellten Frank Mertens und Thomas Flehmer

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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