Automatisiertes Fahren: Rückzug als Gewinn

Pilotiertes Fahren anstrengend

Automatisiertes Fahren: Rückzug als Gewinn
Filme schauen, lesen oder schlafen sollten beim autonomen Fahren möglich sein. © Bosch

Das autonome Fahren wird für die Insassen neue Erfahrungen nach sich ziehen. Die Psychologie des Menschen spielt dabei eine große Rolle.

Von Thomas Flehmer

Das Ziel wird manuell eingestellt und anschließend bringt der Untersatz einen sanft und sicher nach Hause. Was Piloten von Flugzeugen mit ihrem Autopiloten schon seit Jahren kennen, müssen sich die Piloten von Fahrzeugen erst noch aneignen, sollte das autonome Fahren salonfähig sein. "Die menschliche Komponente wird beim autonomen Fahren absolut außer Acht gelassen, vor allem die Frage der Gewöhnung", sagt Mark Vollrath im Gespräch mit Autogazette.de.

Vergleiche zum Beifahrer

Der Professor am Lehrstuhl für Ingenieur- und Verkehrspsychologie der Technischen Universität Braunschweig zieht Vergleiche zum heutigen Beifahrer, für den es nicht immer angenehm ist, in der Zuschauerrolle zu verharren.

"Beim pilotierten Fahren muss der Mensch zuschauen, wie das Auto fährt. Aber der Mensch kann nicht länger als zehn Minuten zuschauen – und das sind auch unangenehme Situationen", so Vollrath, der zugleich Sprecher der Fachgruppe Verkehrspsychologie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) ist.

Vollautomatisiertes Fahren auch in 20 Jahren noch nicht so weit

Für Tobias Ruttke von der Friedrich-Schiller-Universität in Jena kommen Ängste der Insassen hinzu – vergleichbar mit den Ängsten beim Fliegen. "Beim autonomen Fahren weiß der Passagier auch nicht, was das Auto macht", so Ruttke. Dagegen hat Vollrath bereits Studien durchgeführt, die belegen, dass sich die anfängliche Skepsis schnell in Vertrauen auflöse.

Auch für Josef Krems spielen "Ängste keine große Rolle." Für den Professor für Allgemeine Psychologie an der TU Chemnitz wird allerdings "komplett vollautomatisiertes Fahren - auf allen Straßen oder bei jeder Witterung - wird auch in 20 Jahren noch nicht so weit sein. Teilautomatisiertes Fahren oder vollautomatisiertes Fahren nur in begrenzten Situationen, wie zum Beispiel auf ausgewählten Autobahnabschnitten, ist sehr viel realistischer."

Schwieriger Übergang vom pilotierten zum automatisierten Fahren

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Doch auch beim teilautonomen Fahren kommen spezielle Aufgaben auf die Menschen zu, die zum Beispiel auch wieder der heute aktuellen "Beifahrerrolle" ähneln. "Wir sind nicht besonders gut bei Überwachungstätigkeiten. Müdigkeit, Nachdenken . . . Es ist schwierig von der Zwischenaufgabe zur Erstaufgabe zu wechseln", sagt Krems, zu dessen Vorlesungen in Chemnitz sich auch immer wieder Experten aus Fernost per Skype zuschalten. Auch Vollrath sieht diese Gefahren, die beim "schwierigen Übergang vom pilotierten zum automatisierten Fahren" – also vom teilautonomen zum ganzheitlich autonomen Fahren – entstehen.

Sicherheitsgefühle verhindern Risikowahrnehmung

Anschließend stellt sich für die Psychologen die Frage, wie der Wechsel bei den Übernahmesituationen zwischen Maschine und Mensch vollzogen wird. "Autonomes Fahren fördert die Passivität. Die Gefahr besteht, dass durch die Stabilisierungssysteme die Rückwechslung auf das manuelle Fahren nicht richtig funktioniert", sagt Ruttke, "subjektiv wahrgenommene Gefühle von erhöhter Sicherheit verhindern die Risikowahrnehmung."

"Der Überblick geht verloren. Die Frage stellt sich, wie lange Zeit dem Fahrer gewährt wird, um manuell zu übernehmen", ergänzt Vollrath. Krems spricht von einem etwa fünf Sekunden großen Zeitfenster, in dem "dem Fahrer Informationen zur Verfügung gestellt werden, damit dieser sich die Situation zu Bewusstsein führen kann und anschließend richtig handelt."

Fähigkeitsverlust durch Schulungen verhindern

Die Experten sind sich einig, dass beim Kauf eines autonom fahrenden Autos auch spezielle Schulungen begleitend angeboten werden müssten. "Eine Fahrerausbildung ist durchaus vorstellbar. Man wird bestimmte Dinge neu lernen müssen, die heute noch keine Rolle spielen", sagt Krems.

Vollrath spricht gerade von einem Fähigkeitsverlust, der durch das autonome Fahren gefördert werde. Der Professor fordert gar "aus Sicherheitsgründen eine zeitliche Begrenzung des autonomen Fahrens, dann muss der Fahrer übernehmen. Aber das wollen natürlich die Hersteller nicht." Und Vollrath bringt auch die Flugzeugpiloten mit ins Spiel, die "regelmäßig manuelle Flugstunden am Simulator absolvieren" müssen, um beim nächsten Mal den Autopiloten wieder bedienen zu dürfen.

Für Krems stellt sich aber zugleich auch die Sinnfrage des pilotierten Fahrens. "Das Abschalten während der Fahrt muss man anstreben." Also das vollautomatisierte Fahren, für das Krems plädiert: "Es ist in erheblichem Maße anstrengend, hinterm Lenkrad zu sitzen. Und dann gibt es keinen Grund autonom zu fahren, weil nur ein geringer Gewinn entsteht. Der Qualitätssprung, sich eine Weile zurückziehen zu können, muss gegeben sein, weil ansonsten der Fahrer selber fahren kann."

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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